Die deutsche Romantik ist ohne William Shakespeare und Walter Scott, ohne Cervantes und Calderón, ohne Dante und Boccaccio, ohne Tausendundeine Nacht und die Bhagavad Gita nicht zu denken. Denn die genannten Autoren und Texte avancierten nicht nur zu ästhetischen und poetologischen Vorbildern der Romantik, sondern wurden selbst zum Gegenstand romantischer Übersetzungstheorien und -tätigkeiten. Insbesondere die Frühromantik arbeitete sich dabei an einer emphatischen Abgrenzung zu den Übersetzungsparadigmen der Aufklärung ab, indem sie einer rationalistischen Originaltreue u.a. die Ideen einer ‚mythischen‘ (Novalis) oder einer ‚poetischen‘ (A. W. Schlegel) Übersetzung entgegenzusetzen versuchte. Gleichzeitig wurde das romantische Übersetzungsverständnis maßgeblich von der Vorstellung einer Unübersetzbarkeit literarischer Werke geprägt. Grundannahme war hier – nicht zuletzt im Sinne einer progressiven Universalpoesie –, dass Übersetzungen per se weder vollkommen noch endgültig sein können. In diesem Spannungsfeld von Kopie und Vermittlung, von Nachahmung und Verfremdung steht auch das Phänomen literarischer Mehrsprachigkeit, das in zahlreichen Texten der deutschen Romantik zum Tragen kommt. Von fremden Sprachen und Kulturen ist in solchen Texten nicht nur die Rede, Fremdsprachliches wird dort vielmehr auch als solches abgedruckt.

Das Seminar widmet sich der Theorie und Praxis romantischer Übersetzung sowie den Formen und Funktionen von Mehrsprachigkeit in Texten von der Früh- bis in die Spätromantik. Maßgeblich ist dabei die Frage, inwiefern Übersetzung und Mehrsprachigkeit als grundlegende Kategorien einer romantischen Sprach- und Literaturtheorie anzusehen sind und wie das Zusammenspiel zwischen der Forderung eines nationalen Sprachbewusstseins einerseits und dem Entwurf eines kosmopolitisch-weltliterarischen Selbstverständnisses der Romantik andererseits zu bewerten ist. Besonderes Augenmerk wird zudem auf die Rolle weiblicher Übersetzerinnen der Romantik gelegt.