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Die Pest ist selbst als historisch ferngerücktes Phänomen ein wirkmächtiges Konzept im Imaginären der Kultur. Sie arrivierte zu einem Kollektivsymbol, ist ein Mittel der Kritik, lädt zu düsteren Sozialexperimenten im Schonraum der Fiktion ein, eröffnet aber auch Imaginationsräume für alternative Lebens- und Weltmodelle. Für die kulturelle Inszenierung der Pest stellt sich jedoch ein Problem: Ihre bazilläre Ursache und ihre Übertragungswege entziehen sich der Sichtbarkeit. Insbesondere in der vormikrobiologischen Ära ergab sich daraus eine ästhetische und epistemische Leerstelle. Dieses Repräsentationsdefizit kompensieren zu können, war und ist ein Privileg u. a. der Literatur, der besondere Mittel eignen, das Unsichtbare zu visibilisieren. Daneben besitzt die Literatur den Vorzug, das in vielfältige Diskurse ausdifferenzierte Wissen über die Pest integrieren zu können. Als Interdiskurs bildet sie die unterschiedlichen (z. B. medizinischen, politischen, religiösen, sozialpsychologischen), historisch determinierten Spezialdiskurse jedoch nicht einfach nur reproduktiv ab. Sie lässt sie in eine Interaktion treten, bedingt interdisziplinäre Synergieeffekte, eine gegenseitige Kommentierung oder Korrektur und vermag dadurch einen epistemischen Zugewinn zu erwirtschaften. Im Seminar soll anhand ausgewählter Beispiele aus der Weltliteratur von der Antike über die Frühe Neuzeit bis in die unmittelbare Gegenwart die Beziehung zwischen Literatur und Pest beleuchtet werden. Aus jener lässt sich eine doppelte Zielsetzung ableiten: Zum einen soll analysiert werden, welche Funktion die Pest in der und für die Literatur hat; und zum anderen gilt es die Rolle des Plague Writing für die kulturelle Diskursivierung und Repräsentation der Pest zu untersuchen. Zu befragende Texte sind u. a. Thukydides’ Der Peloponnesische Krieg [die sog. Pest zu Athen], Abraham a Sancta Claras Mercks Wienn, Friedrich Schillers Die Pest. Eine Phantasie, Alessandro Manzonis I Promessi Sposi, Gustave Flauberts La Peste à Florence, Jack Londons The Scarlet Plague und Orhan Pamuks Die Nächte der Pest (Veba Geceleri). Der Kurs ist eine Fortsetzung des Seminars „Literatur und Pest I“, setzt dieses aber keineswegs voraus.


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