Die Leistungsgesellschaft ist in Verruf geraten. Galt das Leistungsprinzip einst als sozialdemokratischer Garant für gleiche Chancen auf dem Arbeitsmarkt oder im Bildungssystem, wird heute nicht selten von einer „Tyrannei der Leistung“ (Michael Sandel) gesprochen oder sozialstaatliche Gegenmittel des Leistungsprinzips wie das bedingungslose Grundeinkommen diskutiert. Doch was heißt es eigentlich, etwas zu leisten? Wie kann der Leistungsbegriff theoretisch und historisch genauer gefasst werden?

Mit Herbert Marcuse kann das Leistungsprinzip als psychosoziales Prinzip auf ganz unterschiedliche Lebensbereiche und Branchen bezogen werden: von den technischen Spezifikationen unserer elektronischen Geräte über Leistung im schulischen und universitären Bildungssystem, in Sport und bei der Arbeit, bis hin zum juridischen Leistungsbegriff kodiert im Gesetz. Leistung fungiert als grundlegender Begriff meritokratischer Gesellschaften, auch wenn die Metrik ihrer Bemessung und auch ihre Definition nicht unumstritten sind. Auffällig an dem Begriff ist auch seine latente performative Konnotation: So sind insbesondere die performing arts und der Begriff der Performance im Gegensatz etwa zu den bildenden Künsten oder zur Literatur traditionell besonders eng an Darbietungen von Leistung, Können und skills (Richard Schechner, Marvin Carlson) geknüpft. „Performance“ wird aus dieser Perspektive zum Schlüsselbegriff verschiedener Ästhetiken der Leistung, die weitaus mehr umfassen als die Künste, sondern das neoliberale Grundprinzip eines perform or else (Jon McKenzie) postfordistischer Gesellschaften auf vielfache Weise in Szene setzen. Während „Ästhetiken der Leistung“ mithin als plurale Materialisierungen und Inszenierungen dieses Prinzips gelesen werden können, ist mit „Ästhetik der Leistung“ in der Tradition der kritischen Theorie hingegen eher eine kritische Befragung des Leistungsbegriffs gemeint, die als Ästhetisierung von Leistung im Sinne deren „Unbestimmtmachens“ (Christoph Menke) zu verstehen ist. Das Seminar widmet sich dem Leistungsprinzip somit aus dieser im doppelten Sinne ästhetischen Perspektive: es geht darum, dem Leistungsprinzip anhand konkreter Gegenstände und ästhetischer Praktiken aus Kunst, Peformance, Literatur, Film, Populärkultur und Werbung auf den Grund zu gehen und dabei neues Licht auf die normative, verdinglichende, ableistische oder auch befreiende Dimensionen des Leistungsprinzips sowie der Möglichkeit ihrer ästhetischen Kritik zu werfen.

Einen Einblick in die Problematik gewinnen wir über Texte und Arbeiten, die das Leistungsprinzip theoretisch oder historisch behandeln (Herbert Marcuse, Nina Verheyen, Anson Rabinbach, Jon McKenzie, Michael Sandel, Fiona Campbell); die es literarisch (Robert Walser, Heiner Müller, Samuel Beckett) oder performativ (Bruce Nauman, Christoph Schlingensief, Jérôme Bel, Claire Cunningham) beleuchten; und die versuchen, technische und menschliche Leistung ganz anders zu definieren (Hannah Arendt, Hans Blumenberg, Sigmund Freud, Bruno Latour, Donna Haraway, Fred Moten, Karin Harrasser)