Die Hoffnung oder Annahme, Literatur bilde Wirklichkeit ab, definiert den Realismus im breitesten Sinne. In diesem Seminar werden Texte besprochen, die mit diesem Anspruch auf unterschiedliche Weise umgehen. Die folgenden Fragen dienen dabei als roter Faden der Diskussion: Was heißt im jeweiligen Fall Realismus? Wie versteht sich sein Anspruch und wie wird er poetischen umgesetzt? 

Die bekannteste literarische Form des Realismus ist der Bürgerliche Realismus des ausgehenden 19. Jahrhunderts. Bereits im späteren 20. Jahrhundert, insbesondere aber auch in der heutigen Gegenwartsliteratur verknüpft sich der realistische Anspruch jedoch deutlich mit der Sichtbarmachung marginalisierter Positionen. Was zuvor als ‹kunstunfähige Realien(Linck u.a. 2010) betrachtet worden ist, bildet einen Schwerpunkt. Die Thematisierung von gesellschaftlich und sozial Randständigem, Haus-, Fabrik- oder Pflegearbeit; Betroffenheit von politisch-sozialer Repression und Gewalt, ebenso wie von Krankheit werden zu Themen einer Literatur, die im besonderen Maße für sich in Anspruch nimmt Wirklichkeit oder Realitäten abzubilden. 

Das Seminar wählt sich nicht nur in diesem Sinne einen anderen Realismus zum Thema. Zentral steht auch die Frage, wie sich ein realistischer Anspruch poetisch unterschiedlich umsetzt. Der Festlegung der Kategorie Realismus auf Texte, deren „literarische Machart […] sich selbst sozusagen unsichtbar macht“(Baßler), folgt dieses Seminar nicht. Daher werden auch andere poetische Formen als der Roman besprochen werden. Einflüsse des Dokumentarischen, literarischer Konzepte wie dem politischen Tagebuch werden ebenso thematisiert, wie verschiedene lyrische Formen. Zu den besprochenen Autorinnen zählen unter anderem: Annette von Droste-Hülshoff, Shulamith Firestone, Helga Königsdorf, Anne Sexton, Simone Weill, Ronya Othmann und Cemile Sahin.