„Im Zeichen des Verzichts“ stehen laut Peter Szondi die Menschen in den Dramen Anton Tschechows (1860-1904). Verzicht auf Gegenwart und Kommunikation, stattdessen Resignation, Sehnsucht und Ironie, Erinnerung und Utopie, bestimmen dort nicht nur die Thematik, sondern auch die Form seiner Werke. Unzählige Schriftsteller*innen, wie schon James Joyce, William Faulkner, Thomas Mann, Katherine Mansfield, George Bernard Shaw, Eudora Welty und Virginia Woolf, bewunderten ihn, und nicht umsonst gilt er als einer der Wegbereiter des modernen Dramas und der modernen Kurzgeschichte. Aber auch spätere Generationen von Autor*innen berufen sich auf Tschechow, darunter Aslı Erdoğan, Kazuo Ishiguro, Nadine Gordimer, Joyce Carol Oates, Amos Oz, Philip Roth und Christa Wolf. Das liegt nicht nur an Tschechows innovativen Formen und psychologischem Scharfsinn, sondern auch an der Vielfalt an Themen, die seine Dramen und über fünfhundert Erzählungen umkreisen: So widmet sich der praktizierende Arzt nicht nur eindringlich zwischenmenschlichen Beziehungen, Krankheit, Melancholie und Wahnsinn, sondern nimmt auch soziale Missstände, die zunehmende Ausbeutung und Zerstörung der Natur sowie die Bedeutung von Arbeit und Kunst in den Blick.

Das Seminar wird zunächst eine Einführung in das Werk Tschechows bieten, mit Texten wie „Eine langweilige Geschichte“, „Krankenzimmer Nr. 6“, „Die Dame mit dem Hündchen“, Onkel Wanja und Der Kirschgarten. Im zweiten Teil werden wir uns der Rezeption Tschechows in der Literatur des 20. und 21. Jahrhunderts widmen.