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Im 19. Jahrhundert erklärte der Architekt und Kunsttheoretiker Gottfried Semper das Weben zur Urtechnik aller Künste. Die sogenannte Teppichwand sei demnach Urform aller Bildenden Künste. Die zur Abstraktion tendierende postimpressionistische Malerei hat sich dieser Ursprungserzählung in eigener Sache bemächtigt. Besonders bei Henri Matisse gewinnt das Teppichornament eine ästhetische Modellfunktion; es spiegelt und begründet die modernistische Flächigkeit des Bildes, das sich von der einheitlichen perspektivischen Raumkonstruktion abwendet. Mit dem Kubismus ist die Konjunktur des »Teppichparadigmas« (Masheck) allerdings zunächst am Ende. Erst im Kontext der Postmoderne wird das textile Ornament rehabilitiert, und wird auch das textile Material zum Thema der Kunst.

Während bei Künstlerinnen wie Rosemarie Trockel hierbei vornehmlich feministische Kodierungen in den Fokus rücken, begreift der Kurator Markus Brüderlin die Wahl textiler Gestaltungsmittel als eine »transkulturelle Verflechtung« (als »universelle Weltsprache«). Hingegen scheint es heute die zunehmende Digitalisierung zu sein, die eine Hinwendung zum Textilen motiviert, wie bei Gerhard Richter und Faig Ahmed.

Die Bedeutungsebenen des Textilen werden somit immer wieder neu verhandelt und unterliegen sich kontinuierlich wandelnden Betrachtungs- und Herangehensweisen, sodass sie nicht eindeutig bestimmt werden können. Das Proseminar widmet sich daher der Frage, wie das Textile seinen Weg in die zeitgenössische Kunst gewoben hat? Wie gehen KünstlerInnen mit den historisch gewachsenen, teils oppositionellen oder problematischen Konnotationen des Textilen um? Begreifen auch sie das textile Gestalten als Ursprung aller Künste, als eine transkulturelle Verflechtung? In welchen Arbeiten werden diese Vorstellungen kritisch hinterfragt, wo reflektiert, wo ohne Weiteres adaptiert? Kurz gefragt: Welchen Anteil haben textile Ausdrucksformen an der Genese der modernen wie zeitgenössischen Kunst? Um uns auf eine chronologische Spurensuche zu begeben, sollen neben den genannten Positionen ferner KünstlerInnen wie u.a. Sonia Delaunay, Alighiero e Boetti, Willem de Rooij, Shannon Bool sowie Nevin Aladağ besprochen werden. Zudem sollen mit Hilfe rahmengebender Schlüsseltexte die Techniken, die Materialien wie gleichsam die zugrundeliegenden Ideen der ausgewählten Fallbeispiele zur Debatte stehen.


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