Der französische Literaturtheoretiker Roland Barthes hat den Strukturalismus zu einer allgemeinen Kultursemiotik weiterentwickelt. Auf originelle Weise hat er sich mit dem von ihm entwickelten Instrumentarium so unterschiedlichen Phänomenen wie Mode, Liebe, Photographie, Trauer zugewandt. Von einer zunächst noch szientistisch orientierten Herangehensweise hat er sich zunehmend verabschiedet zugunsten einer idiosynkratischen Leseeinstellung. In ihr kehrt ein "Ich" zurück, das – geläutert durch den von Barthes deklarierten "Tod des Autors" – ein anderes ist: kein sich selbst bewusstes, selbst präsentes Ich, vielmehr ein "Körper", der etwas will, auch in Bezug auf Texte, von dem das Bewusstsein wenig weiß. So entsteht eine geradezu impulsiv zu nennende Schreibweise, die in der losen Aneinanderreihung von Fragmenten ihren stilistisch prägnanten Ausdruck findet.

Wir wollen uns im Seminar vor allem den späteren, schon post-strukturalistischen Texten von Roland Barthes zuwenden. Als Schwellentext zu dieser späten Phase seines Schreibens ist Le plaisir du texte (1973) (Die Lust am Text) anzusehen, auf den 1975 seine Autobiographie Roland Barthes par Roland Barthes (Über mich selbst) folgt. Mit diesem Beitrag verleiht Barthes der Gattung der Autobiographie, die für die französische Avantgarde des Nouveau Roman ein privilegiertes Experimentierfeld darstellte, eine weitere, ebenso subversive wie in vielen Punkten auch sehr berührende Note. Auch die Fragmente einer Sprache der Liebe (1977), denen eine eigenwillige Lektüre von Goethes Werther zugrunde liegt, zeugen von Barthes' zunehmendem Interesse am Zusammenhang von Schrift und Affekt. Höhepunkt und tragischen Schlusspunkt bildet sein letztes Buch La chambre claire (1980) (Die helle Kammer). Geschrieben in Trauer über den Tod seiner Mutter, ist dieser Text nicht nur eine der wirkungsmächtigsten Essays über Photographie, sondern auch eine unheimliche Vorwegnahme des eigenen, viel zu frühen Tods, kurz nach der Veröffentlichung.

Mit den im Kommentar genannten Texten ist das Leseprogramm des Seminars im Kern umrissen. Wir werden mit den Originaltexten und Übersetzungen arbeiten. Französisch-Kenntnisse sind erwünscht, aber keine Voraussetzung.