Inseln haben einen auffälligen Stellenwert in der deutschsprachigen Ästhetik. Als Orte extremer Abgeschiedenheit sind Inseln auch Grenzgebiet und Modellorte ästhetischen Denkens: Auf Inseln werden komplexe Situationen vereinfacht, alternative Geschichten und Zukunftsvisionen erprobt und die Grenzen universalistischer Ambitionen des sinnlichen Vermögens überprüft. Inseln beherbergen Utopien, ‚Robinsonaden‘ und eine Reihe anderer fiktiver Entwürfe des sozialen Zusammenlebens und sozialer Isolation in der europäischen Kultur der Moderne. Somit sind sie als imaginierte ‚Grenzgebiete‘ von der Landkarte der deutschsprachigen Beschäftigung mit Kunst und ihrer Theorie nicht wegzudenken. Aber als reale Schauplätze kolonialer Ausbeutung und indigener Auflehnung wirken sie ebenfalls auf solche eurozentristischen ästhetischen Fantasien zurück. Das Seminar widmet sich der Ästhetik und Gegenästhetik von Inseln und Archipelen. Wir fragen: Welche alternative Historiographien, welche Narrative politischer Befreiung und welche ästhetischen Gesellschaftsentwürfe ermöglichen die Inseln der deutschsprachigen Ästhetik? Und welche Herausforderungen stellen die ästhetischen Gegenentwürfe realer Archipele und ihrer Bewohner:innen für die deutschsprachige Ästhetik? Wir diskutieren sowohl historische Beispiele (etwa die Utopien und Robinsonaden der frühen Aufklärung, die Inselbeispiele in Kants Kritik der Urteilskraft, oder die Auseinandersetzung mit der Haitianischen Revolution bei Hegel und Kleist) wie auch neuere Beispiele aus der Gegenwartsästhetik (Dorothee Elmiger, Judith Schalansky, Ann Cotten, Christian Kracht, Östlunds Triangle of Sadness, Paul Kuhns ‚Es gibt kein Bier auf Hawaii) allesamt vor dem Hintergrund kolonialer und dekolonialer Gegenentwürfe einer archipelen Ästhetik (Césaire, Glissant, Fanon).

Islands are central to the imagined landscape of German aesthetics: not only as sites of extreme isolation and insularity, but also as frontiers, borders, and sources for the extraction of real and imagined resources. Islands simply complex situations, carry alternative histories, and ignite utopian fantasies. As real sites of colonial exploitation, maroonage, and indigenous rebellion, they also work back onto and against European aesthetic thought, challenging the universalist ambitions of Western aesthetics. The seminar is dedicated to the aesthetics and counter-aesthetics of islands and archipelagos. We will discuss both historical examples from the Western tradition (such as the utopias and Robinsonades of the early Enlightenment, the island examples in Kant's Critique of Judgment, or the German fascination with the Haitian Revolution in Hegel, Kleist, and Anna Seghers) as well as more recent examples from contemporary aesthetics (e.g. Dorothee Elmiger, Judith Schalansky, Ann Cotten, Christian Kracht, Östlund's Triangle of Sadness, Paul Kuhn's hit “Es gibt kein Bier auf Hawaii,” White Lotus). These Western examples will be read against the historical configuration of Atlantic colonialism and the decolonial writings of C.L.R. James, Aimé Césaire, Édouard Glissant, and Frantz Fanon.