Flauberts Neuerfindung des Bildungsromans stellt innerhalb der französischen Literatur einen Meilenstein des modernen Romans dar, der für die Literatur des 20. Jahrhunderts, aber auch für die Literaturkritik und Narratologie von paradigmatischer Bedeutung ist. 
Im Seminar soll dieser Roman – in deutscher Übersetzung, aber auch mit regelmäßigen, punktuellen Einblicken ins Original (und daran anknüpfend, in Auseinandersetzung mit den Übersetzungen) – wöchentlich gelesen werden und in Hinblick auf seine historischen, politischen, sozialen Inhalte durchdrungen werden (im Roman steckt das ganze postrevolutionäre, frühkapitalistische Frankreich der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts!). Zugleich interessieren die postromantischen Provokationen Flauberts: seine narrativen Desillusionsstrategien und Dekonstruktionen des subjektiven Imaginären durch Ironie, bittere Komik und syntaktische Lakonik. 
Wichtige literaturtheoretische Impulse – des Strukturalismus und darüber hinaus, etwa von Gérard Genette, Pierre Bourdieu bis Barbara Vinken und Thomas Schestag – sind aus der Lektüre von Flauberts Roman hervorgegangen. Auch sie werden, weniger als Sekundärliteratur, denn vielmehr als genuin theoretische Beiträge – Gegenstand des Seminars sein.

 

Der Kurs ersetzt ab Wintersemester 2023/24 den früheren Kurs Sprachen der Kritik 1 im Pflichtmodul B 2. Französisch-Kenntnisse werden nicht vorausgesetzt, wohl aber die Bereitschaft, sich dennoch auch mit dem Original auseinanderzusetzen – dies bleibt unabdingbarer Bestandteil des AVL-Studiums.

 

Zur Anschaffung empfohlen:

Gustave Flaubert, L’Éducation sentimentale, édition de Pierre-Marc de Biasi, Paris, Le Livre de. Poche, 2002.

 

Die aktuellste und hoch gelobte deutsche Übersetzung stammt von Elisabeth Edl: Lehrjahre der Männlichkeit. Geschichte einer Jugend, München: Hanser 2020. Derzeit ist diese Ausgabe allerdings nur gebunden erhältlich. Wer sparen möchte, kann auch auf die Übersetzung von Maria Dessauer zurückgreifen: Lehrjahre des Gefühls. Geschichte eines jungen Mannes, Frankfurt am Main: Insel 2005.