Afrodiasporische Schriftsteller*innen aus den Amerikas, der Karibik und Europa haben spätestens Anfang des 20. Jahrhunderts nach Ausdrucksweisen gesucht, die jener spezifisch Schwarzen Kultur und Geschichte eine eigene Sprache geben, die sich im Nachgang des gewaltvollen kolonialen Unterfangens des transatlantischen Sklavenhandels entfaltet haben, aber unterdrückt, verdrängt oder schlicht vergessen wurden. Ihre künstlerische Praxis ging mit antirassistischen und emanzipatorischen Forderungen einher, die weltweit zu radikalen politischen und gesellschaftlichen Veränderungen führten und bis heute, wie in den Black Lives Matter-Protesten oder Diskussionen um die (Un-)Sichtbarkeiten Schwarzer Perspektiven (in der Literatur) sowie Reflexionen über Ästhetik (Fred Moten) und anderen Praktiken der Geschichtsschreibung (Saidiya Hartman) fortwirken.

Paradigmatisch für eine sich manifestierende, spezifisch Schwarze Schreibpraxis Anfang des 20. Jahrhunderts waren insbesondere Stimmen der sogenannten Harlem Renaissance (u.a. Langston Hughes, Claude McKay, Zora Neale Hurston, Gwendolyn B. Bennett), die aus den gesellschaftlichen und kulturellen Umwälzungen der Great Migration heraus entstand und bis Mitte der 1930er aufblühte. Interessant dabei ist die frühe Verflechtungsgeschichte dieser Bewegung mit der wenig später, vor allem in Paris entstehenden, frankophone Négritude-Bewegung (Aimé Césaire, Léopold Sédar Senghor und Léon Damas) und deren Verbindungen zum Surrealismus. Paris wiederrum wurde nach dem Zweiten Weltkrieg und während der McCarthy-Ära Zufluchtsort u.a. für Richard Wright (der mit seinem epochemachenden Roman Native Son (1940) auch als «Vater der Schwarzen US-amerikanischen Literatur» gilt) und James Baldwin, dessen immense Bedeutung in den vergangenen Jahren auch hierzulande durch zahlreiche (Neu)-Übersetzungen in den Fokus gerückt ist.

 Wenn auch nicht in demselben Maße wie in den oben genannten Konstellationen, gab es transatlantische Verflechtungen und antirassistische Politisierung und Reflexionen über Schwarze Ästhetik auch in beiden Teilen Deutschlands: Die antiimperialistische Kommunistin und Black Power-Aktivistin Angela Davis wurde zur gefeierten Ikone in der DDR. Im (West-)Berlin der 1980er Jahre gibt die feministische und antirassistische Schriftstellerin Audre Lorde den Anstoß, über eine spezifisch «afrodeutsche» Kultur & Literatur nachzudenken, was u.a. May Ayims Schreiben stark beeinflusste. Etwa zur selben Zeit hielt sich dort auch der idiosynkratische Jazz-Poet Ted Joans auf und brachte 1984 die erste (und letzte) Ausgabe der (afro-)surrealistischen Zeitschrift «Dies und Das» heraus.

Im Seminar wollen wir verschiedene Texte in englischer, französischer und deutscher Sprache aus diesen unterschiedlichen transatlantischen Konstellationen jenseits gängiger Nationalliteraturbildung diskutieren und dabei ästhetische, poetologische und politische Fragen und Herausforderungen erörtern, vor die uns dieses Material stellt. Der genaue Seminarplan wird in der ersten Sitzung verteilt.

Zur Vorbereitung empfohlen: Paul Gilroy (1993): The Black Atlantic – Modernity and Double Consciousness

Bitte melden Sie sich zum Seminar an: krampert@em.uni-frankfurt.de

 

Begleitet wird das Seminar von einer vom Deutschen Übersetzerfonds (DÜF) geförderten Veranstaltungsreihe mit dem Titel «Schwarze Stimmen (im) Übersetzen», die am 7. & 8. November stattfinden wird und aus drei Teilen besteht:

Donnerstag, 07.11.2024

 

 

10:00-16:00 Uhr, c.t.

Goethe-Universität

Campus Westend, Raum IG 1.414

 

Übersetzungswerkstatt

zu Richard Wrights Blueprint for Negro Writing (1937)

Mit Aminata Cissé Schleicher, Gesine Schröder, Eleonore Wiedenroth-Coulibaly & Mandy Gratz, Andrea Hartmann, Brandon Kaaz, Larissa Krampert

 

 

18:00-20:00 Uhr, c.t.

Goethe-Universität

Campus Westend, Raum IG 311

 

Podiumsdiskussion

zur Übersetzung von New Daughters of Africa (1992/2019)

Mit Aminata Cissé Schleicher und Eleonore Wiedenroth-Coulibaly

 

Moderiert von Andrea Hartmann und Larissa Krampert

 

 

Freitag, 08.11.2024

 

 

20:00 Uhr, s.t.

Autorenbuchhandlung Marx & Co.

(Grüneburgweg 76, 60323 Frankfurt a.M.)

 

Autorinnengespräch mit Dr. Marion Kraft

zu Audre Lordes Sister Outsider (1984) und zur Schwarzen feministischen Bewegung in der BRD der 1980er bis heute

 

Moderiert von Andrea Hartmann